Die magische Silvesternacht

Der spanische Philosoph Miguel de Unamuno y Jugo hat einmal gesagt: „In jedem Ende liegt auch ein neuer Anfang!“ Vermutlich ist auch dieser Gedanke Auslöser dafür, dass viele Leute der Silvesternacht und dem Neujahrstag eine solche Bedeutung zumessen. Eine geradezu magische Nacht. Es wird mit dem alten Jahr abgerechnet, die schlechten Dinge (und bösen Geister) sollen im alten Jahr bleiben, während Glück und Wohlstand für das neue Jahr heraufbeschworen werden sollen. Kein Wunder also, dass sich hier allerhand Hocus Pocus eingebürgert hat.

Gut gerutscht ist halb gewonnen

Beginnen wir also, streng chronologisch, mit der Zeit zwischen Weihnachten und Silvester. So gehört es zum guten Ton allen Freunden, Bekannten und Verwandten (oft auch schon in Verbindung mit den Weihnachtsgrüßen, sofern man sich vor Jahreswechsel nicht mehr sehen sollte) einen guten Rutsch ins neue Jahr zu wünschen. Nun findet Silvester ja (auf der Nordhalbkugel zumindest) im Winter statt, da kann es schon mal Glatteis geben; da ist ja bekanntlich gut Rutschen. Doch auch nicht schlimm, wenn der Frost ausbleibt. Denn mit Rutschen hat der Gruß nichts zu tun, der aus dem Jiddischen kommt und eigentlich „Gut Rosch“ lautet, was soviel wie guten Anfang bedeutet. Also ganz ähnlich wie „Prosit Neujahr“, was den lateinischen Wunsch, das es gelingen oder nützen möge beinhaltet.

Ruhetag in der Waschküche

An Silvester nehmen viele Urlaub oder sind noch immer in der Weihnachtspause. Doch nicht nur beruflich, sondern auch im Haushalt tut man gut daran, es ruhig angehen zu lassen: Altem Aberglaube zu folge bringt es Unglück am letzten Tag des Jahres die Wäsche zu waschen. Denn zwischen den Jahren und ganz besonders in der Silvesternacht, die ja bekanntlich die Nacht der Geister ist, herrscht die Zeit der wilden Jagd, die sogenannten Rauhnächte, in der eine Heerschar von gequälten Seelen angeführt von Wotan wild durch die Lüfte braust.

Auch wenn die Geister nicht per se dem Menschen übel gesonnen sind, so ist es dem Glücke sicher nicht zuträglich, wenn sich diese in der zum Trocknen aufgehängten Wäsche verfängt. Das kann dann so unschöne Konsequenzen haben, dass die Geister und Dämonen auf Rache schwören oder gar das Anstoß erregende Wäschestück fortzutragen, um es dem Besitzer dann eines schrecklichen Tages als Leichentuch wieder zu präsentieren. Daher müssen die Laken eben bis ins neue Jahr schmutzig bleiben.

Odin & die wilde Jagd
Odin & die wilde Jagd

Wer aber dennoch nicht untätig sein will, der bringe vor Mitternacht noch schnell den Müll raus, kehre die Asche aus dem Kamin zusammen und ziehe sich ein neues Hemd an. Alles gute Maßnahmen, damit man keine Altlasten aus dem vergangenen Jahr mitnimmt und einen frischen Start wagen kann.

Überhaupt sind die Rauhnächte eine recht mysteriöse Zeit: z.B. gibt es keine geeignetere Zeit diverse Orakel zu befragen und einen Blick in die Zukunft zu erhaschen. Vermutlich pflegen wir daher noch heute den Brauch der Molybdomantie, des Bleigießens, welches aber bekanntermaßen nicht besonders zuverlässig ist, da nur selten die versammelte Feiergemeinde sich auf eine verbindliche Interpretation der Gussfiguren einigen kann. Benutzt man noch richtiges Blei zum gießen, kann man zumindest festhalten, dass dies der zukünftigen Gesundheit nicht wirklich zuträglich ist.

Tschechisches Apfelorakel
Tschechisches Apfelorakel

Besser halten es da die Tschechen, welche die Zukunft lieber aus Äpfeln (gesund und reich an Vitaminen) herauslesen: Der Apfel wird entlang seines Äquators halbiert und die Anordnung der Apfelkerne begutachtet: Sehen wir ein Kreuz ist dies ein böses Omen, sehen wir einen Stern ist das Glück uns im neuen Jahr hold. Verspeist man den Apfel auch noch, ist zumindest nach moderner Lesart eine gute Grundlage für die Gesundheit gelegt, denn Äpfel beinhalten ja bekanntlich viel Vitamine.

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Zu Äpfeln passen ja gut Zwiebeln. Begibt man sich nur etwas weiter nach Nord-Westen ins Erzgebirge, so kann man den Zwiebelkalender befragen. Hier wird eine Zwiebel in zwölf Schalen zerlegt, welche sodann mit den Monatsnamen beschriftet und mit Salz bestreut werden. Man lässt die so präparierten Zwiebeln nun, je nachdem, entweder eine Stunde oder gar über nacht liegen. Anschließend kann man an der Menge der angesammelten Feuchtigkeit ablesen, wie regenreich der jeweilige Monat im nächsten Jahr werden wird.

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Tiere haben schon immer bei der Zukunftsvorhersage eine Rolle gespielt. Doch man muss nicht unbedingt eine Ziege dafür schlachten: In manchen Silvesternächten können die Tiere im Stall nämlich die menschliche Sprache sprechen und erzählen von der Zukunft. Ob diese jedoch besonders glücklich für den Zuhörer wird, ist fraglich, denn droht ihm der baldige Tod, wenn er die Tiere belauscht hat.

Vom Silvesterschmaus

Über die Auswahl eines trefflichen Weihnachtsfestessens habe ich ja anderweitig bereits berichtet. Doch auch zu Silvester gibt es einiges Wissenswerte zu beachten:

Einerseits ist von Fischgerichten eher abzuraten, da diese Gräten enthalten. Zurück geht dieser Aberglaube auf Papst Silvester (✝︎ 31.12.335), dem wir auch den Namen des letzten Tages eines Jahres zu verdanken haben. Dieser frühe Papst muss wohl eine ganz besondere Aura an sich gehabt haben, denn in seiner Gegenwart ist wohl so mancher Ungläubige an einer Fischgräte erstickt.

Papst Silvester I. und Kaiser Konstantin
Papst Silvester I. und Kaiser Konstantin

Anderseits aber, empfiehlt der Brauchtumsexperte den Verzehr eines Silvesterkarpfens, dessen schillernde, runde Schuppen an glänzende Münzen erinnern sollen und damit als Vorbote für zukünftigen Reichtum dienen sollen. Man bewahre deshalb vorsorglich immer eine Schuppe des Silvesterkarpfens in seinem Geldbeutel auf. Wer aber auf Nummer Sicher gehen will, der kann sich auch stattdessen eine schmackhafte Linsensuppe zubereiten, da die Linsen auch den selben Symbolismus bedienen.

Ebenfalls ist es nicht ratsam, Hühnchen oder anderes Geflügel zu verspeisen. Sagen zumindest die Portugiesen. Das Glück soll schließlich nicht gleichsam eines Vogels davon fliegen.

Schweinefleisch soll gut passen und ein Marzipanschwein ist im deutschsprachigen Raum ein beliebter Gast auf jeder Silvesterparty. Eben das beliebte Glücksschwein, ein Zeichen für Wohlstand und Reichtum, denn der Schinken eines Schweins muss diesem erstmal abgefüttert werden. Und nicht zuletzt brachte das goldene Borstenvieh Gullinborsti vor dem Wagen des nordischen Gottes Freyr Licht in das dunkel der Nacht.

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Berliner Pfannkuchen, Silvesterkrapfen, niederländische Oliebollen und ähnliches Schmalzgebäck ist immer eine gute Wahl. Zum Einen weil es gut schmeckt, aber zum anderen, weil obergenannte Geister auch gerne daran naschen, um sich für ihre wilde Jagd zu stärken. Merke: Nur ein wohl genährter Geist ist ein gnädiger Geist. Auch wenn die Dämonen keinen Appetit auf Krapfen haben, kann man das Gebäck noch einem anderen, aus dem britischen Einflussbereich stammenden Gebrauch zuführen. Man wirft einen Kuchen an die Tür des Nachbarn, damit dieser im kommenden Jahr kein Hunger leiden möge.

Natürlich wird um Mitternacht mit auf das neue Jahr angestoßen. In Russland, wo man nicht nur das neue Jahr begrüßt, sondern auch Väterlichen Frost rasch auf einen Sprung vorbei kommt, um noch die Weihnachtsgeschenke vorbei zu bringen, wird der Sekt noch zusätzlich verfeinert: Man schreibt die Wünsche für das neue Jahr auf einen Zettel, der sodann verbrannt wird, um die resultierende Asche mit dem Sekt zu vermischen, welches dann bis Mitternacht ausgetrunken werden muss.

Der abergläubische Spanier verzichtet auf die Asche, nimmt zusätzlich aber ein Paar Weintrauben zu sich. Genau 12 Stück, zu jedem Glockenschlag eine. Doch aufgepasst: Wer nicht schnell genug ist, sich verschluckt oder gar verzählt, dem droht Unglück. Daher gibt es die Trauben schon verzehrfertig in der passenden Anzahl fertig abgepackt zu kaufen. Wem es jedoch gelingt, der darf sich für das neue Jahr etwas wünschen.

Eine Chance für die Liebe

Wer zum Jahreswechsel kräftig feiert kann sich auch entsprechend in Schale werfen. Wir erinnern uns: ein neues Hemd tragen ! Darüber hinaus empfiehlt es sich unter Ballkleid oder Frack einen roten Schlüpfer anzuziehen. Schon die alten Römer wussten: Rote Unterwäsche bringt Glück. Dem zur Folge ist es nicht überraschend, dass die Italiener bis heute daran festhalten. Aber auch in anderen (romanisch sprachigen) Ländern glaubt man an den Effekt. Die Brasilianer, z.B. glauben, dass sich dem Träger von roter Unterwäsche im neuen Jahr die große Liebe offenbaren wird.

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Doch Vorsicht: Wie bei allem Hokus Pokus gibt es auch hier einige Regeln zu beachten: Die rote Unterwäsche muss geschenkt UND neu sein ! UND darf nur einmal getragen werden, damit die Magie funktioniert.

Vielleicht gibt es die rote Unterwäsche auch mit warmem Innenfutter, denn in den Rauhnächten bietet sich unverheirateten Frauen die Chance um Mitternacht eine Wegkreuzung oder einen ähnlich magischen Ort aufzusuchen. Dort soll dann ein Phantombild ihres zukünftigen Ehegatten erscheinen, welches geschwind und schweigend vorüber schreitet. Getreu der Sage von Orpheus in der Unterwelt ist es jedoch nicht gestattet das Phantom anzusprechen oder sich umzuwenden und hinterher zu blicken, weil dies fatale Folgen nach sich ziehen könnte. (Überliefert aus Wales & Schottland)

Schluss mit Stille Nacht…

Von den Geistern in der Silvesternacht haben wir ja schon gehört. Nachdem man dafür gesorgt hatte, dass etwaige Fluchtwege nicht durch Wäsche zugehängt sind, konnte man sich nun eher aktiv darum kümmern die üblen Geister und Dämonen zu vertreiben. Heute machen wir dies gerne mit Feuerwerk und Böllern. Die Niederländer treiben den Spass noch eine Stufe weiter, indem sie teilweise nicht nur käufliches Feuerwerk abbrennen, sondern ein Carbid-Schießen zu veranstalten.

Hier zu wird Calciumcarbid, welches normalerweise als Brennstoff für Carbidlaternen oder als Maulwurfsbekämpfungsmittel verwendet wird, mit einer geringen Menge Wasser in eine leere Milchkanne eingebracht. Diese wird dann mit einem Ball oder einem Deckel verschlossen. Carbid setzt in Verbindung mit Wasser das hochbrennbare Gas Acetylen frei, welches dann durch ein kleines Zündloch in der Kanne entzündet wird. Das dies ein recht gefährliches Unterfangen ist, kann man sich leicht vorstellen: Entsteht zu wenig Acetylen oder zündet man zu früh gibt es eine Stichflamme. Nimmt man zuviel Carbid, kann die Kanne wie eine Bombe explodieren. Ferner kann man auch mit dem Deckel versehentlich Leute in der Schussbahn abschiessen. Oder der Rückstoss schleudert die Kanne gegen den Schützen. Kein Wunder also, dass die Niederlande diesen Brauch mittlerweile streng reglementieren.

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Auch im 19. Jahrhundert wurden die offenbar recht geräuschempfindlichen Geister mit Lärm vertrieben, jedoch indem man alle Kirchenglocken läuten ließ. Das alte Jahr ausläuten und das neue Jahr einläuten. Das soll es auch heute noch geben, jedoch hört man dies vor lauter Feuerwerk kaum. Da bietet das Jahr 2020 ja eine ganz besondere Chance die Glocken entsprechend in Szene zu setzen: Feuerwerk ist vielerorts verboten, Versammeln in großer Zahl sollte man sich auch nicht… Also alles ideal für ein Glockengeläut, das sowohl effektvoll ist, als auch aufgrund seiner akustischen Natur auch ohne direkte Sichtlinie von daheim genossen werden kann. So z.B. in Münster, Ettlingen, und noch einigen anderen Orten in Deutschland, wo dieses Jahr um Mitternacht alle Glocken für 20 Minuten läuten sollen.

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Im Allgäu greift man auch, wen wundert’s, gerne zur etwas kleineren Kuhglocke. Auch eine nette Aktion, wenn auch nicht ganz unproblematisch: Da in Bayern zur Zeit ab 21 Uhr Ausgangssperren in Kraft sind, kann man wohl nur auf dem eigenen Grundstück läuten. Ebenso verbietet es sich auch das Läuten nach Ablauf der Sperre, da Kuhgeläut auch zu Neujahr um 5 Uhr morgens als nächtliche Ruhestörung zu werten ist.

Im Norddeutschen zieht man stattdessen mit dem Rummelpott um die Häuser. Mit diesem auch Brummtopf genannten „Instrument“ zieht man dort seit alters her durch die Nachbarschaft, singt launige Lieder und erbittet sich eine milde Gabe in Form von Back- und Naschwerk für die Kleinen und einen Schnaps für die Großen. Ein Prozedere, welches dem Martinssingen im Rheinland recht ähnlich ist. Der polternde Rummelpott dient dabei nicht nur der rythmischen Untermalung des Gesangs, sondern soll auch die bösen Geister der Rauhnächte vertreiben,

Prosit Neujahr

Der Neujahrstag dann hat auch seine besondere Bedeutung. Von christlich-jüdischem Standpunkt, ist der Oktavtag von Weihnachten (8 Tage nach Heiligabend, der 1. Januar) der Beschneidungstag Jesu Christi. Den meisten Gläubigen kann dies aber relativ egal sein, da dieses Fest mittlerweile aus den Statuten der Kirche gestrichen wurde. Mag vielleicht auch damit zusammenhängen, dass die über Jahrhunderte als Reliquie verehrte heilige Vorhaut in den Wirren der Historie verschwunden ist. Allerdings sei auch angemerkt, dass Jesus wohl mehrere Vorhäute gehabt haben muss, gemessen daran, wieviele entsprechende Reliquien es gegeben hat.

Komm rein, bring Glück herein

Aber kommen wir nochmal auf das bereits oben beschworene Liebesglück zurück. Auch wenn man im viktorianischen England recht abergläubisch war, so ging man in Sachen Liebe im neuen Jahr doch recht pragmatisch vor. Getreu der Maxime mit Vergangenem abzuschliessen und einen neuen Start zu wagen, öffneten wohlhabende Haushalte ihre Türen für Bekannten und sozialen Kontakte, um offene gesellschaftliche Verpflichtungen gerade zu rücken. Besucher zum neuen Jahr waren willkommen und bekamen mindestens einen Drink, wenn nicht auch einen Snack offeriert. Gerade Junggesellen in heiratsfähigem Alter bot dies die Gelegenheit den unvermählten Töchtern des Hauses ihre Aufwartung zu machen und sich für eine Beziehungsanbahnung zu empfehlen. Manche Anwärter besuchten so über 30 Häuser; der Vergleich mit dem heutigen Speed Dating ist also gar nicht mal so abwegig.

Eine besondere Bedeutung kam dem ersten Besucher, dessen Fuss im neuen Jahr die Schwelle des Hauses überschritt, zu. Bei diesem „First Footing“ wurde traditioneller Weise Brot, Salz, Kohle, Whisky oder grüne Pflanzen (oder ähnliche Symbole für Wohlstand) als Geschenk dargebracht werden. An den ideale First-Footer wurden auch entsprechende idealtypische Anforderungen gestellt: Als besonders glücklich galt der Besuch eines dunklen, großen und wohlgestalten Mannes. Der nordische blonde oder rothaarige Typ war eher ein unglückliches Omen. Revanchistische Gedanken an historische Wikinger Invasoren auf den britischen Inseln ? Wir wissen es nicht. In Schweden ist es jedenfalls genau umgekehrt.

Der Pfarrer oder der Onkel Doktor waren ferner auch schlechte First Footer, da diese mit Krankheit und Beerdigung in Verbindung gebracht wurden.

Frohes neues Jahr

Hoffen wir also, dass die verehrte Leserschaft gut ins neue Jahr gekommen ist und im neuen Jahr keinen Katzenjammer auskurieren muss.

In diesem Sinne: Frohes neues Jahr 2021 !

Shotgun !

Sofern man nicht in einer Höhle im finstersten Wald fernab jeglicher Zivilisation wohnt, kann einem unmöglich die aktuelle Debatte um Nachhaltigkeit und Klima-schonende Mobilität entgangen sein. Ein einfacher erster Schritt wäre z.B. das Bilden von Fahrgemeinschaften.

So auch geschehen, als ich mich mit ein paar Bekannten neulich nach Reinhardtsdorf-Schöna in der Sächsischen Schweiz begeben habe, um dort dem Wandertheater beizuwohnen. Wo ich als Fahrer platznehme war natürlich (der Bauart des KFZ geschuldet) klar, doch wo sich die Mitfahrer platzieren ist beliebig und Verhandlungssache, denn der Knigge oder andere deutsche Benimmhandbücher liefern hierfür keinen Leitfaden.

Anders so die Regeln des alltäglichen Beisammenseins, wie sie in den USA Usus sind. Stichwort: (Riding) Shotgun, also die Inanspruchnahme des Beifahrersitzes. „Schusswaffengebrauch“, mag man da denken, „typisch für die Amerikaner und ihre lockeren Waffengesetze“. Doch ist bei diesem Ausruf nicht der neuzeitliche Gebrauch von Schrotflinten zur Betonung des eigenen Anrechts auf den Beifahrersitz gemeint, sondern stammt noch von den Postkutschen im wilden Westen, als es der Person neben dem Kutscher oblag mit dem Schießprügel Posträuber und attackierende Indianer auf Distanz zu halten. Da man heutzutage aber im Straßenverkehr nicht mehr mit Feindeinwirkung rechnen muß, bleibt der Beifahrer unbewaffnet, der Begriff hat sich aber erhalten.

Hier trägt der Beifahrer noch eine Shotgun (Sitzaufteilung für Linksverkehr)
Hier trägt der Beifahrer noch eine Shotgun (Sitzaufteilung für Linksverkehr)

Der Brauch sieht nun vor, dass in einer Gruppe von Gleichberechtigten, derjenige, der zuerst „Shotgun !“ ruft, den Sitz des Beifahrers zugeteilt kriegt. Dies gilt wohlgemerkt nur unter Gleichberechtigten, sprich, sofern keine vorrangigen Rechte und/oder Senioritäten vorliegen. Fährt z.B. ein Elternteil oder der Partner des Fahrers mit, erhalten diese automatisch Shotgun.

Ansonsten aber, ist es ein System von „Wer zuerst kommt, malt zuerst !“. Wer zuerst ruft, sitzt vorne. Entsprechendes gilt, wenn der Fahrer die Leute einzeln abholt, sitzt der Erstabgeholte vorne. Der Beifahrersitz darf nicht unbesetzt bleiben ! Schließlich handelt es sich um eine Fahrgemeinschaft und nicht um einen Limousinenservice mit Chauffeur ! (Zumal dem Beifahrer auch gewisse Pflichten obliegen. Doch dazu später mehr.) Ein weiterer Automatismus tritt in Kraft, wenn ein Pärchen mitfährt. Dabei ist einer der Beiden verpflichtet Vorne, also getrennt vom Partner, zu sitzen. Damit sollen etwaige Techtelmechtel auf dem Rücksitz und etwaige Irritation der Mitreisenden auf den Vordersitzen vermieden werden.

Optional ist natürlich zu erwägen, ob man Leuten mit speziellen anatomischen Erfordernissen Privilegien einzuräumen („Giraffen-Regel“). Es zeugt z.B. von unnötiger Härte einen 2 m Menschen auf dem Rücksitz eines Fiat Panda (oder ähnlichem Kleinstwagen) zu platzieren. Im Sinne des Sportsgeists, kann man hier ein Auge zudrücken und im die Größere Beinfreiheit auf dem Beifahrersitz zugestehen.

Nun gebietet der allgemeine Sportsgeist, dass beim Shotgun-Rufen gewisse Formalitäten eingehalten werden:

1. Grundlegendes

a) Shotgun darf nur in Sichtweite des Fahrzeugs gerufen werden.

b) Shotgun darf nicht innerhalb eines Gebäudes beansprucht werden. Ausnahme: Das Auto ist in einem Parkhaus oder Tiefgarage abgestellt und Regel 1 ist erfüllt.

2. Das richtige Timing

a) Shotgun kann nicht im Voraus erklärt werden. Also z.B. bereits via Gruppenchat im Rahmen der vorherigen Reiseorganisation. Nur unmittelbar vor Reiseantritt auf dem Weg zum Fahrzeug. Manche Regelwerke stellen in diesem Zusammenhang auch folgende, recht ähnliche, Regel auf: “The deed has to be done“. Soll heißen, alle der Autofahrt unmittelbar vorangegangen Aktivitäten und Verrichtungen müssen abgeschlossen sein. Dies beinhaltet einen gemeinsamen Einkauf, einen Zwischenstopp an einer Raststätte und ähnliche Dinge. Siehe hierzu auch Punkt 8. Bedeutet ferner auch: Unterbricht die Fahrgemeinschaft die Reise und verlässt das Fahrzeug, geht nach Vollzug von “the deed das Spiel von vorne los.

Zum besseren Verständnis hier also nochmal die Essenz dieser Regel bis ins Extreme zugespitzt:
„There is no crime greater than calling Shotgun on Monday in reference to a ride to the concert on Friday.“

b) Das beliebte Prinzip “Aufgestanden, Platz vergangen“ findet keine Anwendung. Wenn der Shotgunner kurz aussteigt, z.B. um im Auftrag des Fahrers ein Tor zu öffnen, behält er natürlich den Sitz.

3. Türgriff-Klausel

Sollte einer der Reisenden bereits seine Hand am Türgriff der Beifahrertür haben oder sogar schon Platz genommen haben, gilt dies auch als regelkonforme Shotgun-Erklärung und darf nicht mehr angefochten werden.

4. Stechen

Sollten mehrere Personen gleichzeitig Shotgun rufen, wird der Vorrang durch ein Wettrennen zur Beifahrertür geregelt. Der Fahrer bleibt unparteiisch, schließlich sind ja alle gleichberechtigt und es möge der Bessere gewinnen und so.

Alternativ (oder für den Fall, dass durch ein Wettrennen keine klare Entscheidung zu erreichen sein sollte) kann auch ein Best-of-Three Schere, Stein, Papier(, Echse, Spock), bzw. Eine Runde OpenSchnick (Ohne Brunnen !) durchgeführt werden.


5. Nachladen

Natürlich hat der Fahrer aber dennoch ein Wörtchen mitzureden… Will er die Sache etwas interessanter gestalten oder kann er den Shotgunner wirklich nicht leiden, kann er „Reload !“ Rufen, wodurch das Procedere von Vorne beginnt. Da eine Schrotflinte aber maximal nur zwei Läufe hat, kann nur einmal „nachgeladen“ werden.

(Prinzipiell gibt es auch noch eine „Annoying Retard Clause“ also eine Klausel, die den Umgang mit ausgesprochenen Blödhammeln vorsieht, doch ich gehe hier einmal davon aus, dass alle Beteiligten zivilisierte und vernünftige Menschen sind, die sich zu Benehmen wissen und/oder die Mitfahrt von besagten Blödhammeln im Vorfeld bereits ausgeschlossen wurde.)

6. Gleichberechtigung

Und da wir schon mehrfach von Gleichberechtigung gesprochen haben… Im Grundgesetz Artikel 3 steht:

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.


Und daran soll man sich auch bei Shotgun halten. Heißt in der Praxis: Frauen haben kein automatisches Anrecht auf den Beifahrersitz.
Frauen wie Männer genießen die gleiche Behandlung. Auch kein Kavaliersverhalten…

7. Wie man es nicht machen sollte… (Oder: Calling dibs…)

Zur Übung mal ein Beispiel aus der Praxis:

Nicht zulässige Anträge
Nicht zulässige Anträge

Wir sehen: Diverse Regelverstöße. Keine Reservierung im Voraus. Keine Beanspruchung von Shotgun außerhalb der Sichtweite des Fahrzeugs. Ferner unzulässige Terminologie. Hier werden weder würzige Saucen zum Ditschen der Boardverpflegung angeboten (der Dipp, Pl. die Dipps) noch geht die Fahrt nach Dippoldiswalde (oder für Ortskundige Dipps). Stattdessen handelt es sich hier um “calling dibs on something“. Hierzu sagt Merriam Webster’s Dictionary folgendes:

When someone says that they have dibs on something, they claim or declare rights to that thing before anyone else. Dibs in this sense is children’s slang that goes back to the early 1900s. By mid-20th century, it had made its way into the more formal writing of some adult users of English, though even today dibs remains more prevalent among the young.

Wir vergleichen: Ein zweiläufiger Schießprügel vs ein Kinderspiel… Demnach ist es nur logisch, dass…
Shotgun gewinnt gegen Dibs (und alle anderen ähnlichen Floskeln). Punkt.

8. Schuh-Regel

a) Shotgun kann nur regelkonform ausrufen, wer bereits Schuhe anhat, d.h. gestiefelt und gespornt sich zur Abfahrt bereit hält. Man kann also nicht flott auf Socken nach draußen hüpfen (Siehe Punkt 1 – 3), laut Shotgun verkünden, nur um dann wieder herein zukommen und sich in aller Seelenruhe die Schuhe überzustreifen, geschweige denn noch mal schnell aufs Töpfchen zu gehen.

Hieraus lässt sich nun folgende Handlungsempfehlung ableiten, wenn man unbedingt auf den Beifahrersitz spekuliert: Gummistiefel, Knobelbecher, Wanderschuhe mit extralangen Schnürsenkeln, knielange Stiefel und anderes Schuhwerk in das man nicht mal eben hineinschlüpfen kann ist ungünstig. Besser in zunehmender Güte: normale Schnürschuhe, Slipper, Jesus-Latschen.

b) Ausnahme der Regel: Sollte sich jemand bewusst dafür entscheiden, barfuß zu reisen, so darf er dies tun, allerdings darf er für den Rest der Reise keine Schuhe anziehen.

c) Zweite Ausnahme der Regel: Kommt die Fahrgemeinschaft z.B. vom Strand und hat ausnahmslos ihre Wechselschuhe im Fahrzeug, wird die Schuh-Regel außer Kraft gesetzt, da für alle die gleichen Bedingungen herrschen.

9. Platz 2 und 3

Wenn die Position des Shotgunners vergeben wurde, kann das Prinzip auch auf die verbleibenden Sitze übertragen werden, entsprechend ihrer Qualität in absteigender Reihenfolge: Hinten rechts, hinten links und der unbeliebteste Sitz, Rückbank Mitte. Der rechte Rücksitz ist deswegen zu bevorzugen, da er die einfachere Kommunikation mit dem Fahrer erlaubt. Im Umkehrschluss können Nervensägen daher vom Fahrer gerne auch auf dem linken Rücksitz positioniert werden. In Abhängigkeit der Körpergröße des Fahrers kann die Priorität zwischen links und rechts auch vertauscht sein. Je nachdem wo mehr Beinfreiheit herrscht.

10. Mit großer Kraft kommt große Verantwortung

Doch kommen wir zu den Rechten und vor Allem den Pflichten des Shotgunners. Der Beifahrersitz ist natürlich beliebt, weil er ein Maximum an Komfort bietet: Mehr Beinfreiheit, gute Sicht, direkter Zugang zum Radio und zu den Steuerelementen von Lüftung und Heizung.

  • DJ-Regel: Natürlich hat der Fahrer die absolute Weisungsbefugnis über das Radio und das letzte Wort zur Musikauswahl. Sollte der Fahrer jedoch seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Straßenverkehr widmen müssen, geht die Aufgabe des DJs auf den Shotgunner über. Doch mit großer Macht, kommt auch große Verantwortung: Sollte der Beifahrer wiederholt fragwürdigen Musikgeschmack beweisen, längere Unterbrechungen der Playlist oder jedwedes Abspielen von Roland Kaiser, Helene Fischer oder ähnlichen Schlagerbarden zulassen, verliert er sofort seinen Status und wird auf den Mittelplatz der Rückbank verbannt.
  • Der Shotgunner nimmt auch die Rolle eines Copilots ein. Dazu gehören z.B. das Umprogrammieren des Navigationssystems während der Fahrt, Karten lesen, das Erfragen des Wegs, sowie Öffnen und Schließen manueller Gatter und Tore. Ebenso ist er der „Enforcer“, also der Vollzugsbeauftragte, der den Willen des Fahrers gegenüber den Insassen auf der Rückbank durchsetzt, sofern diese ein tadelnswertes Verhalten an den Tag legen.
  • Automatische Fahrassistenz-Systeme werden in zunehmendem Maße in neue Fahrzeuge eingebaut. Dennoch kommt dem Shotgunner gewisse ähnliche Aufgaben zu den Fahrer zu unterstützen:
    a) So soll der Shotgunner ebenfalls den Verkehr beobachten und den Fahrer im Zweifelsfall vor unbemerkten Hindernissen warnen: „Vorsicht, Blitzer !“… „Radfahrer von Rechts !“
    b) Besonders auf längeren Strecken soll der Shotgunner den Fahrer im Sinne der Bekämpfung von Müdigkeit durch Monotonie den Fahrer bei Laune zu halten, z.B. durch mehr oder weniger geistreiche Konversation. Nichts ist z.B. schlimmer als auf einer nächtlichen Rückfahrt von einer Land-Disko gefühlt ewig über eine zappendustere, schnurgerade Landstraße zu eiern, während alle Beifahrer schon in Morpheus’ Armen friedlich schlummern.
    c) Verschicken von SMS durch den Fahrer ist nicht nur verboten, sondern auch gefährlich. Daher übernimmt der Shotgunner die Aufgabe ihm diktierte wichtige Kurzmitteilungen im Namen des Fahrers zu übermitteln.
  • Sandwich-Regel: Hilfsbereit wie der Shotgunner nun einmal ist, reicht er dem Fahrer die On-Board-Verpflegung in mundgerechter Form an. Sprich: Verpackte Snacks, wie z.B. ein belegtes Brötchen ist aus seiner Verpackung zu entfernen, Trinkflaschen sind zu öffnen…
  • Zusatzregel für 3-Türer: Sollten die Hinterbänkler während der Fahrt das Fahrzeug verlassen müssen, steht der Shotgunner auf und klappt seinen Sitz nach Vorne.
  • Sollte der Fahrer während der Fahrt nicht mehr in der Lage sein seine Pflichten zu erfüllen oder eine Pause benötigen, erhält er automatisch Shotgun-Status.

Auch wenn bei jedem Spiel gewisse Regeln notwendig sind, wollen wir nicht den Paragraphenreiter raushängen lassen. Schließlich ist auch die Auswahl des Shotgunners nur ein Spiel. Sprich: Auch mal gönnen können und ein Auge zudrücken. Denn am Ende soll so eine gemeinsame Fahrt auch Eines tun: Spaß machen !

Der Ventilator – Ein lautloser Killer ?

Der Sommer hat offiziell begonnen und prompt hängt über Mitteldeutschland eine drückende schwüle Hitze. Wer es noch nicht getan hat holt spätestens jetzt den Ventilator aus dem Keller um sich etwas Kühlung zu verschaffen. Da in meiner maximal-wärmegedämmten Altbauwohnung mit riesigen Fenstern und Südausrichtung nachts Backofentemperatur herrscht, schlafe auch ich bei eingeschaltetem Ventilator.

Doch hier ist Vorsicht geboten, denn koreanischen Quellen zu folge, ist der Ventilator ein leise surrender heimtückischer Killer. Stichwort: Ventilatortod – das Phänomen dass man über Nacht in einem geschlossenen Raum in Gegenwart eines laufenden Ventilators sterben kann.

Natürlich handelt es sich hier um einen Aberglauben bzw. auf Neudeutsch Urban Legend, denn wäre tatsächlich etwas daran, so hätten wir sicher schon längst viel davon gehört. Aber tun wir mal so, als wäre die Sage wahr: Wie soll so etwas von statten gehen ? Genau weiß man das in Korea auch nicht, immerhin gibt es aber mehrere verschiedene Erklärungsversuche:

Ersticken durch Luftmangel

Eine Gruppe von Theorien beschäftigt sich damit, dass der Ventilator seinem Opfer die Luft zum Atmen raubt. Richtet man z.B. den Ventilator auf das Gesicht des Opfers, so saugt dieser sämtliche Luft ab und verhindert so das Atmen. Nun ist es aber so, dass der Ventilator Vorne pustet und nur Hinten saugt. Wer legt sich aber hinter den Ventilator, wo man sich doch von der nach Vorne bewegten Luft kühlen lassen will ? Macht allgemein keinen Sinn und physikalisch schon gar nicht, da ja ständig Luft von Hinten nachströmt. Tatsächlich sind die Luftdruckschwankungen im Raum geringer als bei stürmischem Wetter.

Giftige Gase

Besonders gut gefällt mir folgende Theorie: Der Ventilator entzieht dem Raum den Sauerstoff und/oder reichert die Luft mit CO₂ an. An dieser Theorie mag etwas dran sein, wenn sie einen Ventilator mit (z.B. benzingetriebenen) Verbrennungsmotor Marke Rasenmäher betreiben. Da hier aber die Atmosphäre relativ schnell mit Abgasgestank und vor allem Motorenlärm so verpestet wäre, dass an Schlafen nicht zu denken wäre können wir diese Option abhaken. Eine Kontamination mit Ozon können wir auch ausschließen, da sich dieses nur entweder durch starke UV Strahlung oder durch Hochspannungsentladungen bildet, beides Vorgänge, die in einem handelsüblichen Ventilator auch nicht vorkommen.

Überhaupt kommt bei allen Druck- und Gas-bezogenen Ursachen zusätzlich der Fakt zu tragen, dass die meisten Schlafzimmer keine luftdicht abgedichteten Räume sind, so dass ein Mindestmaß an Austausch mit der Außenwelt stattfindet und solchen Phänomenen entgegen wirkt.

Temperaturbezogene Effekte

Kälte…

Kann ein etwaiger schädlicher Effekt vielleicht vom Kühleffekt des Ventilator kommen ? Halten wir erst einmal fest, dass ein Ventilator die Raum nicht abkühlt. Er bewegt lediglich die Luft. Die Raumtemperatur bleibt jedoch gleich. Der Ventilator dient lediglich als „Miefquirl“.

Die empfundene Abkühlung kommt durch zweierlei Effekte zustande: Sofern wir nicht gerade in tropischen Gefilden verweilen ist unser Körper wärmer als seine Umgebung, d.h. er gibt Wärme andie ihn umgebende Luftschicht ab, bis diese die gleiche Temperatur angenommen hat. Der Ventilator bläst nun die angewärmte Luft weg, d.h. kühlere Luft strömt nach. Faktor 2 ist die Verdunstungskälte durch Schwitzen. Jeder dessen Haut schon mal mit einem Alkoholtupfer desinfiziert wurde kennt Verdunstungskälte (die natürlich bei Alkohol deutlich ausgeprägter ist als dem im Schweiß enthaltenen Wasser). Verdunstung kann solange stattfinden, bis die uns umgebende Luft mit Wasserdampf gesättigt ist, d.h. die maximale Menge an Wasserdampf aufgenommen hat. Auch hier kommt dem Ventilator wieder die Aufgabe zu „Frischluft“ (in dem Fall trockenere Luft) nachzuführen. Das funktioniert natürlich nur, sofern wir nicht 37°C und 100 % relativ. Luftfeuchte haben ! Treten diese Bedingungen ein, kühlt auch der beste Ventilator nicht mehr. Dies sind zwei Faktoren, die der Legende des Ventilatortods Vorschub leisten würden, wäre unser Körper ein einfacher unbelebter Gegenstand.

Tatsächlich erzeugt unser Körper fortwährend Energie. Ein Mensch (80 kg, 180 cm, männlich) setzt dabei ca. 1860 kcal (7774 kJ) je 24h an Wärme frei1, lediglich durchs faul herum liegen und aufrechterhalten aller lebensnotwendigen Grundfunktionen. Genug Energie um etwas mehr als 3 Liter Wasser zu verdampfen. Das bedeutet also, wir kühlen nicht einfach aus, sondern der Körper hält durch Wärmeerzeugung dagegen ! Wird es zu Kühl wird etwas mehr Wärme produziert, wird es zu Warm wird mehr geschwitzt.

Hitze

Und was ist mit Überhitzung ? Immerhin gibt es ja auch Umluftöfen, die unser Essen besonders effizient garen. Konvektion heißt hier das Zauberwort. Steht die Luft still, dann gibt es zwei Mechanismen, über die Wärme transportiert wird:

  1. Wärmeleitung: Bekanntermaßen ist Luft ein relativ schlechter Wärmeleiter (deswegen hält der Zwiebellook auch so gut warm !)
  2. Strahlungswärme: Wie man in einem physikalischen Tabellenwerk nachschlagen kann, ist Wärmestrahlung stark abhängig von der Temperatur (T⁴➞ Temperatur hoch 4 !) und dabei bei erhöhter Zimmertemperatur relativ gering

Effizienter ist es da Wärmeenergie durch einen Strom von heißer Luft zu transportieren. Bei Ober-/Unterhitze müssen wir daher höhere Temperaturen wählen um einen gescheiten Garerfolg zu erzielen, als wenn wir heiße Luft direkt auf unser Gargut pusten. Für den Ventilator bedeutet dies: Solange die Luft kühler als unser Körper ist, besteht keine Gefahr. Bei Temperaturen über 36 °C allerdings beginnt der Ventilator uns Wärme zuzuführen, anstelle zu kühlen. Dies würden wir aber auch merken, da der Kühlungserfolg ausbleibt. Insofern sollte man also tatsächlich mal das Fenster aufmachen, wenn sich der Raum über Tag aufgeheizt hat und den Ventilator am Fenster platzieren, falls sich so kühlere Luft in den Raum blasen lässt.2

In dem Zusammenhang sei noch folgendes zur Verdunstung angemerkt: Wenn der Ventilator uns trockene Luft zuführt, dann führt das auch zu einer erhöhten Verdunstung von Flüssigkeit, sprich: wir trocknen langsam aus. Daher: Immer ausreichend trinken !

Ein Körnchen Wahrheit

Sterben wird man also eher nicht vom Ventilator. Dennoch, Zugluft ist auch nicht gerade ideal. Die verstärkte Abkühlung unseres Körpers kann zu unangenehmen Konsequenzen wie z.B. Muskelverspannungen führen. Auch ist Kälte schlecht, wenn man bereits Viren im Körper hat, die sich dann zu einer soliden Erkältung auswachsen können.

Abseits von gesundheitlichen Effekten, bleibt auch der Umstand, dass der permanente Betrieb eines Ventilators den Stromverbrauch unnötig in die Höhe treibt. Somit ist eine Zeitschaltuhr am Ventilator also dennoch eine sinnvolle Sache.

Ein gewisses Restrisiko bleibt allerdings doch… Nämlich das, was grundsätzlich beim Betrieb eines Elektrogeräts besteht: Kurzschluss, Kabelbrand, Überhitzung… Wenn das Gerät in gutem Zustand ist zwar sehr gering, aber dennoch real.

Wir sehen also, die koreanische Angst vor dem Ventilator ist zwar weitestgehend unbegründet fußt aber doch auf einem Fünkchen Wahrheit.


Anmerkungen

  1. Entspricht etwa einer Leistung von 90 Watt. Also nicht unähnlich einer handelsüblichen Glühbirne !
  2. Merke: Eine kleine Wellblechhütte mit Ventilator, die in der prallen Sommersonne steht, ist auch irgendwie nichts anderes als ein Umluftofen !