Stollensaison

Same procedure as every year… Nein, es ist noch nicht Sylvester und die Adventszeit hat gerade erst begonnen, aber der Verkauf von Weihnachtsgebäck und -leckereien ist schon wieder in vollem Gange. Während mancher auf so einen frühen Start eher verhalten reagiert, sind andere Leute kaum zu bremsen. So soll es z.B. schon vorgekommen sein, dass bei meinem Doktorvater schon pünktlich zum Verkaufsbeginn im September der erste Christstollen auf dem Kaffeetisch stand.

Schmeckt am besten wenn er gut durchgezogen ist… Christstollen !

Und um genau dieses Gebäck soll es heute hier auch gehen… Christstollen als die Spezialität aus Dresden schlechthin. Laut Lexikon ist ein Stollen (oder in manchen Gegenden von Deutschland auch Stolle1) ein Kuchen aus Hefeteig und erhielt seinen Namen vom althochdeutschen Wort ’stollo’ für Pfosten / Stütze. Natürlich ist ein guter Stollen wesentlich schmackhafter und saftiger als ein Holzpfosten, was unter Anderem an seinem Gehalt an Trockenfrüchten (Sultaninen !), Butter und allerlei Füllungen liegen mag.

Dementsprechend gibt es eine Mannigfaltigkeit an verschiedenen Stollensorten:

  • Mandelstollen
  • Marzipanstollen (mindestens 5 % Marzipan)
  • Mohnstollen
  • Nußstollen bzw. -striezel
  • Butterstollen (mindestens 40 Teile Butter und 70 Teile Rosinen, Orangeat und Zitronat)
  • Quarkstollen (mit Quark oder Frischkäse im Teig)

Ein echter Dresdner Christstollen jedoch enthält (auch wenn Manche Anderes glauben) kein Marzipan oder verwegene Füllungen, sondern ist ein besonders gehaltvoller Butter-Rosinen-Stollen. Über die Qualität wacht hier der Schutzverband Dresdner Stollen, der hier eine Art Reinheitsgebot definiert hat. Dieses schreibt vor, dass ein Christstollen auf 100 Teile Mehl mindestens 50 Teile Butter, 65 Teile Sultaninen, 20 Teile Orangeat und/oder Zitronat und 15 Teile Mandeln enthalten muss (plus die sonstigen Zutaten für einen guten Hefeteig) und keine Magarine oder künstliche Konservierungs- und Aromastoffe enthalten darf. Backformen sind ebenfalls nicht gestattet, jeder Stollen wird von Hand geformt. Und obwohl man schon fast von einem standardisierten Produkt sprechen mag, hat jeder Stollenbäcker (über 120 gibt es im Großraum Dresden) seine persönlichen Tricks und Kniffe (sprich ein von den Altvorderen überliefertes Rezept), die dem Endprodukt eine individuelle Note verleiht.

Das Endresultat genießt einen solchen Ruhm, dass man sich diese beliebte Leckerei von der EU als geographisch geschützte Angabe hat eintragen lassen und die Vorgaben dort festschreiben hat lassen. Das liest sich dann so:

Der Stollen besitzt eine ebenmäßige äußere Form, ist angemessen gebräunt und gleichmäßig gebuttert und gezuckert. Er weist eine gut gelockerte Krume mit gleichmäßig verteilten Früchten auf. Der Stollen riecht und schmeckt rein, aromatisch und abgerundet.

Klingt gut und ist es auch. Damit das auch so bleibt, veranstaltet der Stollenverband jedes Jahr eine Stollenprüfung bei der gestandene Stollenbäcker die Qualität der einzelnen Produkte einer rigorosen Prüfung unterziehen und dann der Bäckerei das goldene Stollensiegel erteilen.

Ordnung muss sein ! Stollenprüfung 2017 vor Publikum in der Altmarkt Gallerie

Ordnung muss sein ! Stollenprüfung 2017 vor Publikum in der Altmarkt Gallerie

Wer sich übrigens wundert warum der weiße Puderzucker so gut auf dem Stollen klebt: Die Antwort lautet Butter ! Viel Butter ! Ein Umstand der ein bisschen der historischen Herkunft des Stollens als Fastengebäck widerspricht. Denn: Auch wenn die Adventszeit heute ein munteres Plätzchenfuttern ist, eigentlich ist sie eine Fastenzeit vor dem christlichen Hochfest Weihnachten. Butter war also beim Backen tabu ! Im Urstollen erlaubt waren Wasser, Mehl, Hefe, Hafer und Rüböl. Man kann sich also vorstellen, dass dieses Gebäck für Naschkatzen eher weniger zu empfehlen war.

Da man aber insbesondere bei Hofe und in Adelskreisen nicht gerade auf frugale Kost nach Art von Schmalhans Küchenmeister stand, begab es sich im Jahre 1486 der sächsische Adel bei seinem Fürsten anfragte eine Aufhebung des Butterverbots beim Papst zu erbitten. Und so wandten sich Kurfürst Ernst von Sachsen und sein Bruder Albrecht der Beherzte sich an Papst Innozenz VIII., der das Verbot mit dem Dresdner Butterbrief aufhob.

Mag sein Gebäck auch lieber mit Butter: Papst Innozenz VIII.

Bei aller Opulenz, die Historie des Christstollen kennt auch Durststrecken: Denn zwischen 1949 und 1990 lag die Heimat des Dresdner Christstollens in der DDR. Wenn man sich die Zutatenliste durchliest, so fällt auf, dass Ingredienzen verwendet werden, die in deutschen Landen von Natur aus nicht vorkommen und deswegen aus dem Ausland importiert werden müssen, z.B. Zitronat und Orangeat. Da nun der deutsche Arbeiter- & Bauernstaat klamm an Devisen war, war man auch klamm an besagten Zutaten. Not macht erfinderisch und dem entsprechend versuchte man den Mangel mit heimischen Erzeugnissen auszugleichen, z.B. mit kandierten Möhren (Kandinat M) für Orangeat und kandierten grünen Tomaten (Kandinat T) für Zitronat. Wie das geschmeckt haben muß, kann ich nur raten. Eine Rosinen-Simulation aus Äpfeln war angeblich auch in Entwicklung, konnte aber geschmacklich nicht überzeugen.

Orangeat

Gehört in einen guten Stollen: Orangeat


Doch zurück zum sächsischen Fürstenhof: Jetzt da der Stollen mit Butter verfeinert wurde, war die Begeisterung beim sächsischen Hofe für das Gebäck offenbar derart groß, dass August der Starke anno 1730 anlässlich des Zeithainer Lustlager, einer prunkvollen Truppenschau, sich einen Riesenstollen backen ließ, der über die Stolzen Maße von 7 x 3 x 0,3 m und ein Gewicht von 1,8 Tonnen verfügte. Hierfür wurde extra vom Hofarchitekten Matthäus Daniel Pöppelmann ein riesiger Ofen konstruiert, der den Stollen aufnehmen konnte. Ein solch zünftiger Stollen braucht natürlich auch ein entsprechendes Werkzeug, um ihn in verzehrfertige Portionen zu zerteilen. Hierfür ließ man das „Große Stollenmesser“, ein 1.6 Meter langes Küchenutensil aus Silber anfertigen, mit welchem der Stollen dann in 24000 Portionen aufgeteilt wurde.



Der historische Riesenstollen Augusts des Starken !

Der historische Riesenstollen Augusts des Starken !

Auch heutzutage versucht man sich an riesigen Christstollen. Jedes Jahr anlässlich des Dresdner Stollenfests wird aufs neue ein Riesenstollen gebacken. Die Ausgabe aus dem Jahr 2013, gebacken aus etwa einer Tonne Mehl, zwei Millionen Sultaninen, 563 Kilogramm Butter, 172 Kilogramm Zitronat/Orangeat, 337 Kilogramm Zucker und 120 Liter Jamaika-Rum, brachte es auf stolze 4246 kg und hält damit den Weltrekord. Auf den Riesenofen verzichtet man heute und baut den Stollen aus ca. 500 einzelnen Stollenplatten von etwa 8 kg Gewicht zusammen. Vermutlich keine schlechte Idee, will man das beliebte Szenario „Außen knusprig schwarz und innen roh“ vermeiden. Ist das große Backen erstmal vorbei, werden die einzelnen Platten nach einem ausgeklügelten Verfahren mit reichlich Butter und Zucker zusammengeklebt. Der Maschinenbauer Prof. Kurt Merker tüftelte 1994 ganze 8 Wochen lang daran, wie der Stollen denn nun zusammenzubauen sei und entwickelte sogar eine Vorrichtung zum exakten Stapeln der Platten.

Mauern in der Backstube: Butter statt Mörtel

Mauern in der Backstube: Butter statt Mörtel

Geht man von einem Kaloriengehalt von 416 kcal/100 g aus, hat diese kapitale Köstlichkeit satte 17,7 Mio. kcal. Das entspricht dem Brennwert von 2122 L Benzin, was bei einem Durchschnittsverbrauch von 7 L pro 100 km dafür reicht etwa 3/4 des Äquators mit dem Auto abzufahren ! Das ist natürlich Unsinn. Der Stollenmotor ist leider noch nicht erfunden.

Doch wo Rekorde aufgestellt werden, ist die Konkurrenz nicht weit. So unternahm Lidl (Bereich Niederlande) 2010 im niederländischen Haarlem das Unterfangen einen 72.1 m langen Rekordstriezel zu Backen. Das Gewicht wird im Guinnessbuch nicht überliefert, allerdings darf, EU Verordnung sei dank, zu recht angenommen werden, dass es sich geografisch bedingt um keinen echten Dresdner Christstollen handelte.

Großes Dresdner Stollenmesser Nachbildung 2011

Großes Dresdner Stollenmesser Nachbildung 2011

Ein Großes Stollenmesser gibt es aber immer noch, wenn auch als Replik (und auch für Zuhause). Das Original verschwand leider in den Wirren des 2. Weltkriegs mitsamt des restlichen Silberschatzes der Wettiner. Das Zerteilen des Stollens (nachdem dieser in einem festlichen Umzug durch die Dresdner Altstadt gefahren wurde) erfolgt dann auf dem Striezelmarkt, ausgeführt vom Oberbäckermeister und dem Dresdner Stollenmädchen.

Das Stollenmädchen ist eine weihnachtliche Analogie zur Weinkönigin, also Repräsentantin und Frontfrau für den Dresdner Christstollen. Es ist daher nicht verwunderlich, dass alle Kandidatinnen für diesen Posten Bäckerinnen-, Konditorinnen- und Bäckereifachverkäuferinnen-Azubis in einer Dresdner Stollenbäckerei sein müssen, da das Stollenmädchen sich natürlich bestens mit der Materie auskennen muß.

Dieses Jahr tritt die Stollenkönigin in seiner 23. Inkarnation in Gestalt der Konditoren-Azubine Hanna Haubold vor die Stollenfans.

Dieses Jahr tritt die Stollenkönigin in seiner 23. Inkarnation in Gestalt der Konditoren-Azubine Hanna Haubold vor die Stollenfans.

So, nachdem wir uns den Christstollen in all seinen Facetten angesehen haben, lässt der Autor nun den Worten die Taten folgen und vergewissert sich selbst, ob das hier angepriesene Produkt auch dieses Jahr seinem Ruf gerecht wird. In diesem Sinne: Frohen 1. Advent !


  1. An dieser Stelle ein schöner Gruß an Anja E. 🙂

 

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